Die Rätsel werden immer fieser

Lange Zeit hätte man nicht gedacht, dass das Einfachste das Schwierigste ist. Wächst man so heran in seinen Jugendjahren, so ist man sich selbst ja selbstverständlich. Könnte es eine blödere Frage geben als die, ob man wirklich existiere? Oder dann, ob man wirklich sooo existiere, wie man sich zu existieren wähnt? Doch dann kommen all diese vertrackten Fragen. Irgendwer knallt sie einem bestimmt irgendwann um die Ohren.

Wer ist eigentlich „Ich“? Hat man das Ich nicht einfach gelernt, wie Gott, den Teufel, den Erzengel Gabriel, Hieronymus, den Mann mit dem heiligen Namen und ja, auch den heiligen Geist? Und dann sind da diese Philosophen und diese Wissenschaftler. Die unterscheiden dann zwischen Erster-Person – das bin Ich – und Dritter Person – das ist der andere. Den andern zu verstehen war doch früher immer das Problem. Und nun, da man sich mit der Philosophie des Geistes rumschlägt, ist es plötzlich genau umgekehrt. Ich bin nun das Rätsel. Der andere ist erklärbar. Vollständig. Oder sagen wir nahezu so vollständig, dass der Rest Peanuts ist. Er hat soundso viele Moleküle, bestimmte Gene, den ganzen kognitiven Apparat, er hat einen Input, denn er versteht mich, wenn ich was zu ihm sage. Und er hat einen Output. Er sagt dann oft, ich verstehe dich eigentlich schon, aber deine Argumente…

Der andere schneidet sich unabsichtlich und verhält sich so, als sei dies nicht so günstig für ihn. Sagt Autsch! Redet von Schmerzen. Okay, das ist halt seine Redensart, seine Art, wie er das Malheur in seinem Kopf verarbeitet kriegt und dann wieder von sich gibt. Er weiß es nicht besser. Man kann ihn fragen, wie er das erlebt hat und er antwortet ganz logisch, wenn auch „mentalistisch“ (also wohl falsch). Saubere Sache. Wie ein Androide. Eine Maschine, die sehr gut funktioniert. Hat ja auch lauter funktionale Zustände. Und die Medizin versteht sich auf die Reparatur dieser Maschinen. Die ganze Welt ist dann schon fast erklärt. Nur Ich nicht. Passiert mir das gleiche, das mit dem Schneiden, so empfinde ich Schmerzen. Ich rede nicht nur von Schmerzen, sondern Schmerz wird tatsächlich empfunden, erlebt. Also etwas, was da draußen gar nicht messbar ist. Früher war das einfach klar. Hätte man das vergessen, kann man ein Kind fragen, ob es wisse, was Schmerzen seien. Heute ist es nur noch ein Rätsel, das Empfinden, das Erleben, das damit verbundene Bewusstsein. Bewusstsein kann es ja eigentlich gar nicht geben, streng genommen. Also jedenfalls ist es in hohem Masse suspekt geworden.

Hm, da kriegt das Ich Probleme. Fragt sich, ob es sich nur einbildet. Aber wenn es sich selbst einbildet, dann ist doch da etwas, das…

Versuch einer (Zwischen-)Bilanz

Mete hatte ja vollkommen Recht mit seiner Kritik auf meinen tragischerweise meistgelesenen (besser: meistangeklickten) Beitrag: Warum wir gar nicht wach sind. Man sollte eine komplexe psychologische Theorie, wie sie das Zürcher Modell der sozialen Motivation eben darstellt, nicht in dieser flapsigen Art in den Kontext von Spiritualität werfen, wie ich das ja getan habe. Das wirkt bestenfalls überheblich und im weniger günstigen Fall, versteht man überhaupt nicht, was die arme Tom-ate eigentlich hätte sagen wollen. Natürlich müsste das Modell zunächst in groben Zügen erklärt werden, um dann diese Verknüpfung zu meinem Thema erst verständlich werden zu lassen. War ich dazu einfach zu faul? Ich befürchte es, denn ausnahmsweise kenne ich die Materie wirklich sehr gut. Es nützt auch nichts, dass einige Erläuterungen in der langen Kommentardiskussion mit mete folgen; diesen Pfad schlägt kein anderer mehr ein.

Warum schreibe ich das jetzt? Nun, ich bin ja ziemlich still geworden in letzter Zeit und habe das Mikrofon Phorky überlassen, der auf seine Art wiederum schwungvoll Landmarken in schwieriges Terrain eingeschlagen hat. Schweige ich, weil ich feststellen muss, dass ich mit meinen Beiträgen gescheitert bin?

Für mich hat Spiritualität wenig bis nichts mit Frömmigkeit, mit Glauben zu tun. Auch nicht mit (Schein-)Wissen über metaphysische Rätsel. Auch nicht mit neunmalklugen torlosen Schranken. Ja, was sollen Koans? Dienen sie wirklich der Schärfung des Verstandes? Oder nur der Belustigung gelangweilter Geister? Ist es nicht vielmehr so, dass sich mit diesem Vehikel ein Meister erst zum Meister macht, indem er irgendwelche blöden Dilemmata den Schülern vor die Füsse kippt?

Auf die Frage, was für mich Spiritualität bedeutet, habe ich bis heute „nur“ diese Landmarken gefunden: Ehrlichkeit sich selbst gegenüber, subjektive Analyse der Subjektivität, Versuche, eine Moral zu begründen, die aus dem Subjekt heraus, also nicht auf Grund von Tradition und gesellschaftlichem Zwang, funktioniert, die Entdeckung des „Guten“ und „Schönen“, was auf der Handlungsebene untrennbar mit der Moral verbunden ist, Akzeptanz der Erkenntnisgrenzen (warum mein Genmaterial durch die Zeit „driftet“ und sich dank etabliertem Phänotypen in Interaktion mit der Umwelt befindet, lässt sich nicht bis zur Letztursache zurückverfolgen), der Versuch eines Dialogs zwischen Unbewusstem und dem Bewusstsein (z.B. luzides Träumen) bzw. sich dem Unbewussten selbstkritisch zu öffnen.

Dieses Programm lässt mich am Gottesbegriff, der als Letztbegründung allen Seins von vielen immer noch fleissig bemüht wird, zweifeln; er ist m.E. nichts als eine spirituelle Hypothese, deren stärkste Säulen wiederum nichts anderes als psychologische Bedürfnisse zu sein scheinen. Die Annahme Gottes führt beinahe zwangsläufig in die Enge dogmatischer Regelwerke. Denn niemand mag einen bloß hypothetischen Urgrund.

Am meisten erstaunt mich aber heute, wie ein spiritueller Prozess das Bedürfnis nach dem „Guten“ und „Schönen“ (Die Anführungsstriche deshalb, weil ich diese „Dinge“ eigentlich für unzulässige Abstraktionen halte; ich bin kein Anhänger Platons, nicht die Idee ist ewig) hervorruft. Das ist sicher individuell. Andere mögen nach einer spirituellen Besinnung gar in den Krieg für irgendeine „Idee“ ziehen. Für mich undenkbar. Neben der Homöostase der unbewussten Triebkräfte, wie sie eben das Zürcher Modell als dauernder immanenter Zielzustand beschreibt, existiert für mich im Bewusstsein so etwas wie ein ästhetisches Bedürfnis, meine Handlungen und Taten in einen nach bestem Wissen und Gewissen positiven Kontext zu stellen. Ich weiß, das haben andere schon viel besser formuliert. Und um darauf zu kommen, muss man ja gar nicht lange meditieren! Macht nichts. Ich bin mir nun sicher, dieses Bedürfnis kritisch genug hinterfragt zu haben und es als Ausdruck meines eigenen Bewusstseins zu verstehen, das sich zwar nicht autonom entwickelt hat, aber das trotz genetischer und gesellschaftlicher Ketten gelernt hat, sich einen kleinen Freiraum im Dickicht der Kausalität herauszutrampeln. Ob dies wiederum nur eine Illusion sei, darüber habe ich lange genug nachgedacht. Wenn dem naturwissenschaftlich betrachtet auch so wäre, so ist es phänomenologisch betrachtet eben nicht so. Und sind wir nicht gleichbedeutend mit unseren Phänomenen? Was wären wir ohne sie? Wir sind dieses Herausgetrampelte, dieses Befreite, diese scheinbare Illusion, allzu oft auch nur das scheinbar Herausgetrampelte, das scheinbar Befreite, die wirkliche Illusion, also nur der in sich selbst gefangene Wahn…

Aber was auch noch bleibt: Diese ernüchternde Diskrepanz zwischen spiritueller…, nein, „Erkenntnis“ ist mir schon zu hoch gegriffen, spirituellem Bedürfnis und der Schlingfallen stellenden täglichen Praxis, die immer wieder ins Unästhetische kippt. Das Leben bleibt ein letztlich zweckfreies Übungsfeld, mehr nicht. Daraus das Beste machen. Das ist vielleicht schon die ganze Erleuchtung oder eben – das Scheitern…

Nicht lächeln – lachen und zwar herzhaft

Jetzt möchte ich mal einen biologisch inkorrekten, aber dennoch ernst gemeinten, also doch leider humorlosen, Beitrag über die Evolutionsgeschichte schreiben.

Betrachten wir die Welt einmal anders, also nicht aus der subjektiven Perspektive, die ich in diesem Blog ja bevorzugt missbrauche, um mir die Dinge zurechtzurücken. Dann ergibt sich in aller Kürze ein solch schönes Bild:

In den tiefen des Alls, einer letztlich unbegreiflichen Raumzeithölle, fliegt ein Planet herum, auf dem ein merkwürdiges Ereignis stattgefunden hat: eine Abgrenzung einer winzigen Struktur gegen ihre Umwelt. Das Ereignis erweist sich als zeitlich stabil. Es vermag sich zu reproduzieren, sodass viele solcher Abgrenzungen vom Rest des Chaos der Fall sind.

Diese vermögen dank Stoffwechsel mit dem Chaos erfolgreich gegen die zu erwartende Entropie zu arbeiten. Sie werden immer zahlreicher und verbinden sich zu Ereignisnischen im schnöden Urschleim. Sie beginnen sich zu konkurrenzieren, gegenseitig zu verstoffwechseln und in diesem Prozess der wechselseitigen Optimierung für künftige auf Kosten aller bestehenden Ereignisse entstehen Entwicklungslinien, deren jeweiliger Status quo und deren Geschichte im einzelnen Ereignis als Information stabil gespeichert wird. Die Ereignisse divergieren zunehmend.

Durch Teilung und/oder Zusammenschluss entstehen Ereigniscluster, die sich wiederum gegen die Umwelt abgrenzen.

Diese wird durch die beschriebene Strukturierungsspirale immer weniger chaotisch, immer berechenbarer (für rechnende Ereignisse). Das Spiel bekommt immer differenziertere Regeln.  Die komplexer werdenden Ereignisse synchronisieren, optimieren und spezialisieren ihre interne Zusammenarbeit.

Innen und außen, Konkurrenz und Kooperation, Informationsverarbeitung und Stoffwechsel und natürlich die Vervielfältigung sind somit im Spiel etabliert. Wie eine Höherentwicklung ohne Plan bis hin zu äußerst komplexen Maschinen möglich sein kann, das begreifen nicht nur Kreationisten nicht: Tausend Affen schrieben keine Shakespearestücke! Doch: denn die Affen haben einen Lektor, der weiß, welche Buchstaben trotz allem die richtigen am richtigen Ort sind. Diese – wenigen – lässt er stehen, gibt das Stück gleichmütig zurück und die Affen schreiben wie besessen weiter. Jetzt kommen ein paar weitere richtige Buchstaben hinzu. Dieser kreisförmige Prozess wird fortgesetzt, bis das Stück bühnenreif ist. Der Lektor vermag das Stück gar nicht zu lesen. Er weiß nur, welcher Buchstabe wo stehen muss und tut seinen Job mit Begeisterung. Die Veränderungen am Text durch die Affen nennt man Mutation und Genrekombination. Der Lektor ist weiblich und wird die Selektion genannt. (Die kursiven Hervorhebungen in diesem Abschnitt zeigen der Logik dieser Allegorie entsprechend Motivationen an. In Wirklichkeit bedarf es auch irgendeines Antriebs; wahrscheinlich ist es ja bloß ein lokaler Überschuss an Energie, vielleicht sind aber die Atome oder Teile davon „beseelt“, was uns nicht so völlig unsympathisch wäre, denn das wäre irgendwie ein Ausweg aus einem durchgängig mechanistischen Spiel.)

Es ist merkwürdig, wie selten menschlichen Denkprozessen die Anschauung einer solchen autopoietischen Entwicklung kreisförmig und iterativ arbeitender Informationsverarbeitungssysteme wirklich gelingt. Dank Energiezufuhr von der Sonne funktioniert diese Spirale des Lebens eine Milliarden Jahre dauernde Zeit grandios. Doch gehört zum optimierten Spiel notgedrungen der Kampf ums Dasein.

Definiert man sich selbst als ein solches Ereignis in diesem Spiel, dann bleibt einem nur noch herzhaftes Lachen über alles vergebliche Streben. Allenfalls bleiben noch Verzweiflung, Trotz und die Suche nach der Hintertür aus dem höllischen Spielzimmer des Universums.

Oder Gleichgültigkeit, Gleichmut und Indolenz.

Oder die Suche nach dem Guten im Spiel, aller Wahrscheinlichkeit zum Trotz.

Nun ja, dieser Beitrag ist schon fast peinlich… Nichts, was man nicht schon wüsste! Dass die menschliche Kultur und die gesellschaftlichen Strukturhöllen im Wesentlichen nur ein Abklatsch des beschriebenen Spiels sein können, wer möchte das nun aber bezweifeln? Wäre denn das Göttliche, wenn es denn nicht Letztursache war, im Laufe der Evolution erst entstanden und sozusagen im nackten Affen kulminiert? In seinem „Bewusstsein“? In seinen irren, narzisstischen Spiegeltänzen? Nein, vergesst es, sage ich da. Vielleicht in winzigen Ansätzen! In ein paar utopischen Denkmöglichkeiten! Haben wir nicht das Paradies geträumt? Shangri-La? Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit? Gibt es nicht ein tibetanisches Totenbuch? Die Idee der Gerechtigkeit? … Da, da ist doch irgendwo Gott…

Oder doch nur herzhaftes Lachen „enttäuschter“ Affen inmitten von Hunger, Krieg und Verblödung? Vielleicht hält ja die Evolution noch Trümpfe in der Hand. Vielleicht wird „Gott“ in zweieinhalb Milliarden Jahren wirklich existieren, entstanden aus Adam und Eva oder einem ganz anderen Ausgangsmaterial. Aber wie könnte mich so ein verrückter, transhumanistischer Gedanke von meiner äffischen Fröhlichkeit wegtragen?

Gib der Sprache ihren Platz

Mehr als einmal habe ich hier in den Kommentarspalten erwogen, über das Globalthema Sprache zu reflektieren. Gut heute ist es soweit. Dies ist nebenbei gesagt irgendwie auch eine Reaktion auf das aktuelle autopoietische Zerwürfnis. Wenn vier Blogger und eine Bloggerin zusammen ein Projekt lancieren und es dann scheitert, hat dies sicher auch mit der angewandten Sprache zu tun. Angewandte Sprache ist nicht nur voller Missverständnisse – aber nun wirklich rappelvoll! – und dies schon aus psychobiologischen Gründen, nein Sprache selbst ist uns ein großes Missverständnis. Wie das?

Bis gestern dachte ich, ein Beitrag über Sprache als solche müsste linguistisch fundiert sein. Ich müsste mich erst reinknien in diesen ganzen sprachwissenschaftlichen Forschungskram. Nun glaube ich – für meine bescheidnen Zwecke – dies gar nicht mehr tun zu müssen. Es reicht, selbst ein Sprachpraktiker, also ein denkender, sprechender, schreibender, zuhörender und lesender Mensch, zu sein, um sich dieses Medium vorknöpfen zu dürfen. Praxis schlägt Theorie wäre da die flotte These.

Aber warum überhaupt das Thema Sprache?

Sprache!

Hm, ich suche mal ein paar knackige Zitate aus dem Internet als Ausgangsmaterial:

Ja, hier: „Wir sind Sprache.“ So Ute Richter vom Heidelberger Zimmertheater.

Oder hier: „Die Sprache ist nicht weniger als die Welt. Sie birgt alles, wie die Welt. Der Mensch ist Sprache, wir sind Sprache.“ aus Kulturforum Wissen 2009.

Nun, ich könnte in dieser Art unzählige Zitate einbringen, aber der Zweck ist ja schon erreicht. Nur noch dies:

Gott sprach: Es werde Licht. (…) Dann sprach Gott…“ etc. Aus dem Buche Genesis.

Und als Zugabe natürlich noch dies:

Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott.
Im Anfang war es bei Gott.
Alles ist durch das Wort geworden, und ohne das Wort wurde nichts, was geworden ist.“ Aus dem Johannesevangelium.

Ich behaupte mal – ungeachtet dessen, was die Linguistik dazu sagt – im menschlichen Bewusstsein sind genau solche Aussagen zur Natur des Phänomens Sprache omnipräsent: Sprache ist die Welt; eigentlich ist Wirklichkeit Sprache und Sprache Wirklichkeit.

Hinter der biblischen Form der Verabsolutierung von Sprache, und darum geht es doch, steckt die Idee, dass letztlich alles Geist ist. Also göttlich. Aus diesem göttlichen Geist fließt die Sprache und diese übersetzt sich dann Kraft ihrer Magie in die Materie und all die beknackten Interaktionen der Materiehäufchen, die wir so im Alltag überall antreffen.

Das kann man ja nicht wirklich falsifizieren, diese idealistische Anschauung. Man kann nur im Geiste David Humes skeptisch daran erinnern, dass Sprache ein Attribut menschlicher Natur UND Kultur ist und dass es folglich eine anthropomorphisierende Anmaßung darstellt, dieses menschliche Zeichensystem zum Kern des Universums, ja Gottes machen zu wollen. Das wäre so mein erster Pflock, den ich im Feld Sprache einschlagen möchte.

Sprache ist, soweit wir das wissenschaftlich verstehen, von den menschlichen Vorläufern in den afrikanischen Steppen über lange Zeit hinweg entwickelt worden und zwar aus einem einfachen Zeichensystem heraus, welches primär auf Gesten, also primär Handzeichen, beruhte. Die Komplexität heutiger Sprache ist somit ein Entwicklungsprodukt menschlicher Kultur. Dank ihr wurden Interaktionen zwischen Individuen etwas einfacher. Mit der Zeit noch einfacher. Und noch einfacher. Und dann ganz einfach, was ja dann ein fürchterlicher Trugschluss ist! Die Missverständnisse heben sich nur auf ein komplexeres Niveau. Die Betrachtung komplexer Phänomene in ihrer Entwicklung haben halt so ihre Haken und Ösen.

Und es ist eine Wechselwirkung: Die Entwicklung der „Gesellschaft“ und jene der „Sprache“. Je komplexer das eine, umso komplexer das andere, bis wir unsere wunderschöne heutige Grammatik haben, die ich ja kaum richtig beherrsche und bis wir unsere wunderschöne demokratische Gesellschaftsordnung haben, die mir jedoch irgendwie monströs vorkommt. Aber vielleicht ist mein letzteres Problem nur meinen Schwierigkeiten mit der Grammatik geschuldet? Das wäre etwa die Logik derjenigen, die sagen: Die Welt ist Sprache.

Man kann jetzt sagen: Okay, die Bibel lag falsch und wir wollen mal das Universum nicht anthropomorphisieren. Aber trotzdem sind wir Sprache! Und ohne Sprache sind wir nichts. Ja, dass der moderne und postmoderne Mensch also gerne seinen Gott hinwegfegt, sich seines früheren Schöpfers entledigt, nur um endlich selbst Schöpfer zu sein, das ist spätestens seit Nietzsche trivial. Trotzdem bleibt die Allmacht der Sprache dem Menschen Dogma. Alles ist Sprache.

Warum nicht? Denken wir denn nicht permanent? Und ist Denken nicht gleich Sprache? Ohne Sprache wäre keine Kultur.

Gut. Dass kulturelle bzw. gesellschaftliche Entwicklung in ihrer Komplexität ein Subsystem Sprache benötigt, welches ihrerseits parallel und in Wechselwirkung mit dieser Kultur ihre Komplexität entwickelt, habe ich ja schon geschrieben. Hat man diesen Prozess wirklich verstanden, so begreift man wohl Sprache. Sprache wäre demnach ein kulturelles Subsystem, welches sich parallel und in Wechselwirkung mit den gesellschaftlichen Möglichkeiten des Menschen entwickelt hat. Das wäre der zweite Pflock. Und ich wähle ja diese fürchterliche Metapher bewusst, um anzudeuten, dass durchaus viele Berufene diesen Sachverhalt wesentlich filigran-eloquenter darzustellen vermögen. Sicher. Aber ich tu’s jetzt einfach mal selbst, basta.

So sind da also schon zwei Pflöcke: Zum einen die notwendige Entmythologisierung des Begriffs Sprache. Denn gerade im Christentum mit seiner mythischen Satzung des „Wortes“ als universalem Nullpunkt wurde letztlich ein Nebelmeer des Unverständnisses entfaltet. Zum andern die Abhängigkeit der Entwicklung des Systems Sprache von der Entwicklung menschlicher Gesellschaften und umgekehrt.

Den dritten Pflock hab‘ ich oben schon gezückt: Ist Denken gleich Sprache? Ja, ist man doch geneigt zu sagen. In Wirklichkeit stimmt dies eben nicht. Auch wenn menschliche Denkprozesse überwiegend, ja sogar überwältigend überwiegend mittels sprachlicher Module ablaufen. Nur kann Denken nicht absolut mit Sprache gleichgesetzt werden. Warum nicht? Man muss seine Denkprozesse erst einmal genau beobachten, um das zu verstehen. Denken bedeutet nicht automatisch streng rational, logisch zu denken, wie ein Schachcomputer. Denken interferiert immer mit Emotionen, mit Wahrnehmungen, mit einschiessenden Gedächtnisfetzen. Denken findet also statt in einem vieldimensionalen inneren „Raum“, wo Bilder, Klänge, Erinnerungen, Gefühle und Stimmungen, Berührungen, ja sogar Gerüche kognitiv verarbeitet werden. Gut, da kommt das Gegenargument: Also eine Erinnerung ist doch sprachlich im Gedächtnis abgelegt und kommt so wieder ins sprachverarbeitende Hirnareal zurück. Und so ähnlich ist es doch auch mit Bildern. Wenn ich ein Haus sehe, habe ich das Symbol Haus in den Synapsen.

Nun, ich behaupte, diese Illusion, das Ha A U Es in den Synapsen, also unser sprachliches Symbol sei dem Haus vor der Netzhaut irgendwie äquivalent, kommt daher zustande, weil man diese ersten beiden Pflöcke eben (noch) nicht im Sprachfeld eingeschlagen hat. So kommt es, dass ein primitives Zeichen, also „Haus“ im Bewusstsein einem konkreten wahrgenommenen Haus gleichgesetzt wird. Im Prinzip eine ungeheuerliche Vereinfachung. Als wollte man einen Spielfilm auf eine Schwarzweißfotografie reduzieren. Dabei weiß ich, wenn ich „Haus“ höre oder lese nicht einmal ob es ein-, zwei-, drei- oder vierzehnstöckig ist. Natürlich kann ich zusätzlich sagen das „zweistöckige Haus da“. Aber dann weiß ich immer noch nicht, ob es gelb, blau, rot oder weiß gestrichen ist. Natürlich kann ich ergänzen, das „blaue zweistöckige Haus da“. Aber Leute: Die Wahrnehmung hat das instantan, sofort! Ohne Sprache. Die Information liegt vor Augen. Sprache arbeitet hingegen einem depperten Buchstabencode entlang die Information sequenziell ab. Die Sequenzialität ist ein entscheidendes Charakteristikum von Sprache. Sprache zu entschlüsseln braucht relativ viel Zeit. Ein Bild zu betrachten auch, aber einen ersten Überblick bekomme ich schnell. Einen Text kann ich hingegen überfliegen und es entsteht keine Zusammenfassung in meinen Synapsen.

Genau deshalb besteht sprachliche Kommunikation, man müsste jetzt noch einiges über nichtsprachliche (wie Cali im Kommentar moniert, sollte es besser nonverbale heißen) Kommunikation sagen, aus lauter Missverständnissen. Weil sprachliche Information lückenhaft ist und vom Empfänger gemäß seinen inneren Zuständen ergänzt wird. Ein Haus. Ein zweistöckiges Haus. Ein blaues zweistöckiges Haus. In Wirklichkeit ist es vielleicht einfach eine Holzhütte. Man muss also hinschauen und wenn das nicht geht muss man alle falschen sprachlichen Zusatzannahmen ausschliessen wollen oder können oder wie auch immer. Und wenn es kein so einfaches Ding wie ein Haus ist? Wenn es um ein Gefühl geht, verarscht oder falsch verstanden zu werden? Wie bittschön redet man über ein Gefühl ohne Missverständnisse?

Drei Pflöcke sollen mal reichen. Vieles ist jetzt nur andiskutiert. Aber vielleicht wird klar, dass nun „Wir sind Sprache.“ oder „Sprache birgt alles.“ einfach nur tollkühne Sätze sind. Genauso, wie wir in der Sprache zuhause sind, sind wir es in Bildern, also eben nicht BE I El De E Er, sondern in Farben, Konturen, Formen. Und genauso sind wir in der Musik zuhause, die sich nicht hinreichend in Sprache übersetzen lässt. Und genauso sind wir in Gaumenfreuden zuhause, die sich nicht hinreichend in Sprache übersetzen lassen.

Aber, aber: Sprache ist unser universellster Code! Wir können über Musik reden, über Gaumenfreuden reden, über Bilder reden. Sprache ist somit ein enorm hilfreicher Code, der uns allen Missverständnissen zum Trotz erlaubt, uns gegenseitig auszutauschen. Man kann aber auch zusammen musizieren, gemeinsam einen Wein trinken, zusammen ein Bild anschauen, sich in die Augen schauen und bei Bedarf gemeinsam schweigen.

Mu

Mein Schweigen hier könnte bedeuten, dass

  • mir nichts Landmarkiges mehr einfällt,
  • mir die Darstellung dessen, was mir einfällt, gleichgültig geworden ist,
  • mir Blogs nicht mehr als angemessenes Medium erscheinen,
  • mich die Aporie der torlosesten Schranke lähmt,
  • oder etwas ganz anderes.

Die Katze am Ende des neolithischen Gartens

Maikäfer flieg! Tatsächlich fallen sie zu Tausenden vom Himmel. Liegen auf dem Bürgersteig auf bleischweren Rücken, rudern mit müden Beinchen bis sie erschöpft ins Nichts sinken. Bundesbürgerinnen und Bundesbürger latschen sie zu Brei, ohne Skrupel; bemerken gar nicht, ob sie noch strampeln oder nicht. Ich verlasse den Bundesbürgersteig, lenke die Schritte, oder sie mich?, in meinen Garten. Ich könnte ins Haus gehen, aber es zieht mich in den Garten. Warum weiß niemand, also ich weiß es nicht. Ich weiß eigentlich gar nichts. Hinter dem Haus gehe ich langsam die Treppe hinunter auf die nordwärts sanft abfallende Blumenwiese. Wie grün es hier ist. Ja, hier fliegen sie, die Maikäfer! Ich gehe auf den Steinplatten durch diese alles verklärende Wiese und höre umso missmutiger die L- und PKWs der nicht weit entfernten Hauptstraße. Vor diesem Hintergrund der Zivilisation explodiert ein Orgelkonzert einer Mönchsgrasmücke. Eine zweite antwortet, was in ein rauschhaftes Duett mündet und meinen durchgedrehten Synapsen Frieden verspricht. Dazwischen zwitschern Blau- und Sumpfmeisen und eine Amsel flötet bedächtig ihre melancholische Arie. Die Hortensie hat im Winter gelitten, aber dennoch erhebt sie trotzig ihre grünen Blatthäupter. Gartenarbeit ist meditativ, sagen jene, die Spaß daran haben. Nach ein paar Schritten mache ich es mir im Liegestuhl bequem. Liegestühle sind Meditationsorte. Oder Orte des Stillstands. Ja, der Garten. Mumford hatte ihn so besungen: Dem Garten kommt im Gesamtprozeß der Domestizierung zentrale Bedeutung zu: Er war die Brücke, die die beständige Pflege und selektive Kultivierung von Knollen und Bäumen mit dem Ausroden wilder Gewächse und dem Anbau der ersten einjährigen Getreidepflanzen – Emmer, Einkorn und Gerste – verband… Mumford, Lewis Mumford. Wer liest heute noch Mumford? Er wird in Vergessenheit geraten. Obwohl er ein Bestseller mit achthundertfuffzig Seiten hinterlassen hat. Oder gerade deswegen. Heute kann man das, was er episch breit schlug, in ein paar Twitterzeilen pressen. Der Substanz nach? Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Ich weiß es nicht. Keiner weiß es. Das ist jetzt auch komplett egal. Hier im Liegestuhl. Wo Faulheit in Fäulnis übergehen könnte. Mumford war der erste, wirklich? zumindest einer der ersten, der den Begriff Megamaschine sinnvoll benützte; er prägte ihn. Ich werde nie einen Begriff prägen, denke ich. Ich kann gar nicht in Vergessenheit geraten, denn da bin ich schon längst und nie werde ich da hinaus gelangen aus dieser Vergessenheit. Nicht dass das ein Problem wäre. Gut, das glaubt mir jetzt keiner! Es ist ‚Toms‘ Problem, nicht meins. Wem’s weiterhilft, soll sich doch damit beschäftigen. Ich hab aber wirklich kein Problem damit, eine Null zu sein. Diese Null wird bald einmal im Nichts versinken, wie ein müder Maikäfer. Der Unterschied zwischen mir und dem Maikäfer ist diesbezüglich gleich null. Das Nichts. Viele behaupten ja, sie hätten damit null Problem. Warum verstehe ich das bloß nicht? Bin ich depressiv? Brauche ich Psychopharmaka? Psychotherapie? Psychopharmakatherapie? Nein, ich wüsste nicht, was das ändern könnte. Das Nichts ist jedenfalls unendlich. Es dauert unendlich lange. Wie kann Nichts eine Dauer haben? Vom Subjekt her betrachtet kann es das eben schon. Denn das Subjekt ist der Zeit unterjocht. Auch wenn das falsch gedacht wäre: Eine unendliche Dauer Nichts minus mein Leben, das irrwitzigerweise dazwischen! – zwischen dem VorLebenNichts und dem NachLebenNichts – haust, wie viel ergibt das? Unendlichkeit minus, sagen wir mal großzügig 75 Jahre, gibt das nicht wieder unendlich? Ein umgedrehtes Hotel Hilbert? Muss mal Phorky fragen, ob’s keinen mathematischen Trick gibt, seinen immerhin 75 Jahren Bedeutung zu verleihen. Also Nichts bleibt Nichts, auch wenn dazwischen eine Seifenblase auftaucht und wieder platzt. Das ist eigentlich schon alles. Wozu sollte man sich da noch irgendwie für irgendwas echauffieren? Das Nichts lacht sich kaputt über solche Seifenblasenbemühungen. Manchmal wird es mit !Gott! gleichgesetzt. Wem’s gefällt. Das Nichts ist ein Spieler, ein Zocker, ein Versuchsleiter, ein Sadist, ein Arschloch. Aber das ist alles Quatsch, denn das Nichts ist einfach nichts. Aus. Und so bleiben mir die 75 oder wieviel-es-dann-wirklich-sind Jahre, wovon die größere Hälfte längst zerbröselt ist. Ein kleiner Rest also noch. Was für ein blödsinniges, leeres, langatmiges Lamento. Stupider Kampf. Mein Bewusstsein gegen das Nichts, das wäre gar der Titel meines Hauptwerks, wenn es denn so etwas geben täte. Das Bewusstsein ist die Seifenblase, ist das !Leben! Doch das !Nichts! zermalmt es. Vor der Vernichtung spiele und träume ich. Das ist mein Trumpf und Triumph. Leben kann man also nicht! Man kann nur in der Fantasie leben; in Illusionen, in Werken, im Wahn, in Taten, in Schöpfungen hinter denen immer nur das Nichts lauert. Immerhin. Und im Liegestuhl ist es sehr bequem. Die Temperatur ist jetzt sehr angenehm in diesem Garten. Die Gedanken, man merkt es, dröseln und nölen weg auf tiefstes Niveau herab, drehen im Kreis, werden noch nichtiger, als sie eh schon sind. Könnte man doch einfach ins Nichts versacken! Ja, warum jeden Morgen aufwachen? Und warum anknüpfen an die Misere vom Vortag, an die Schwere der Biografie. Wenn man wenigstens jeden Tag ein Neuer wäre! Mal ein Qualitätsmanager, mal ein Held, mal ein Praktikant, mal ein Autopoietiker, bzw. Autopoiet. Nichts bleibt, nur die Illusion eine Person zu sein. Ein schriller Schrei sticht aus dem Buschkonzert heraus. Flügelschlagen, erbärmlichstes Piepsen, Rascheln. Unsere Katze kommt stolz erhobenen Schwanzes aus dem Lorbeer, in der Schnauze ein Nichts, das soeben noch ein Orgelkonzertbewusstsein war. Bewusstsein ist immer auch im Krieg.

(Nun doch auch hier)

Für die Dialektiker

Nach der Umleitung die Rückleitung:

Bewusstsein ist die Antithese zum Nichts. Eine detaillierte Beurteilung synthetischer Aufhebungen dieses Widerspruchs kann man sich – bis heute jedenfalls – getrost ersparen. Etwas und Nichts zusammen ergibt – bis heute jedenfalls – immer nur Nichts. Der Rest ist Wahn oder im besten Fall ein ungedeckter Check.

Umso magischer, abgründiger und – heiliger – ist unser Etwas.

Warum wir gar nicht wach sind

Wer sich mit Spiritualität beschäftigt, wird früher oder später auf mehr oder minder Berufene stoßen, die in etwa Folgendes sagen: Menschen, die scheinbar wach sind, leben in Wirklichkeit in einer Art Traumwelt, meist ohne es zu wissen. Manchmal kommt noch ein Zusatz, der noch provokanter ist: Nur wenn sie schlafen, sind sie eigentlich wach.

Mit letzterem kann ich nicht viel anfangen, mit dem ersten Satz hingegen schon. Ich setze Traum mit Unbewusstem gleich und schon ist das psychologisch recht stimmig. Aber halt, da wartet noch etwas Arbeit auf uns.

Wir funktionieren im Alltag. Das begründet den Funktionalismus. Ein funktionaler Zustand ist dadurch definiert, dass er auf einen bestimmten Input mit einem bestimmten Output reagiert und in einen anderen funktionalen Zustand übergeht. Damit haben wir das Qualia-Problem umschifft. Mehr nicht. Also ist der Funktionalismus dann letztlich doch falsch. Ich hab früher schon zu diesem Thema geschrieben, z.B. hier.

Aber dem Menschen ereignen sich durchaus haufenweise „funktionale Zustände“, ohne dass er davon nur die Bohne mitbekäme. Ein Großteil der Dinge die wir tun, tun wir mit extrem abgedämpfter Aufmerksamkeit. Wir überwachen uns kaum, sogar beim Autofahren reicht eine Restaufmerksamkeit. Meistens. Weil es Routine ist. Und vieles ereignet sich uns und wir haben sogar Null Aufmerksamkeit drauf. Hinsichtlich solcher Zustände und Veränderungen sind wir tatsächlich, also partiell, der gedankenexperimentelle philosophische Zombie. Das trifft selbst auf die Kommunikation zu. Wenn ich mit jemand spreche, sendet dessen Körper, Gesicht, Haltung, Gestik etc. Signale aus, die ich nur unbewusst verarbeiten kann. So kann es geschehen, dass ein Gespräch eine Wendung nimmt, die von den beiden Unbewussten „gesteuert“ worden ist. Um sich nachträglich einen Reim auf solche Gesprächsverläufe zu machen, operiert der Mensch mit Konstrukten wie Sympathie, die halt unabhängig vom rein verbalen Austausch irgendwie magisch wirke. Also, funktionalen Zuständen ist es egal wieviel mentaler Schmalz, wieviel bewusste Verarbeitung und Erleben daran hängen.

In der neueren Psychologie, auch in den verhaltenspsychologisch (VT) orientierten Schulen, wird der Rolle des Unbewussten mittlerweile wieder der gebührende Platz eingeräumt. Das alles nach Freuds zu einseitiger Theorie vom Unbewussten als vorrangig Sexuellem, der Libido. Und dem Input-Blackbox-Output-Behaviorismus. Und der darauf folgenden kognitiven Wende. Jahrzehntelang war es nach dieser Wende ziemlich hip, den Freud ins Lächerliche zu ziehen und der Welt des Bewusstseins die alleinige Entscheidungsmacht zuzubilligen. Bis nun die neuropsychologische Forschung dieser Hybris ein Ende setzte. Man kann heute (wieder) kognitive VTler von der Übermacht unbewusster Entscheidungen reden hören, ohne Scheiß. Nun, wem das jetzt nichts sagt, der kennt den amüsanten Schulenstreit in der Psychologie nicht.

Also, das Unbewusste ist rehabilitiert, nicht in der freudschen Gestalt zwar, aber als „unbewusste Kognition“. Hm, was das nun sein soll, ist mir wiederum rätselhaft. Im Prinzip geht es nur darum, einen breitgetretenen Begriff – die Kognition – um jeden Preis zu retten. Aber wie nun mal nicht alles Libido ist, was „entscheidet“, so ist auch nicht alles Kognition. Unbewusste Kognition ist etwa so genial wie ein torloser Sieg im Fußball.

Also, was entscheidet, wenn es in vielen, sogar in den meisten, Fällen nicht die Kognition, das bewusste Nachdenken über etwas ist? Dank der Hegemonie des Kognitivismus hat man eigentlich keinen Plan in der wissenschaftlichen Psychologie. Schon überläßt man das Spielfeld den Philosophen. In der Neuropsychologie machen sich deshalb jene breit, die den Psychoballast loswerden wollen, die zwar noch von Kognition reden, aber nur noch, als zwar heilige, Metapher am Rande. Ihnen geht’s um die Funktionsweise von Neuronen, Synapsen, das enzymatische Spiel zwischen DNA und Umwelt in den Milliarden Zellen und Billionen Synapsen. Am Ende muss man den Leuten einfach noch ausreden, dass sie je Qualia hatten, bzw. dass sie je etwas erlebten, und der Plan ginge auf.

Zum Glück gibt’s neben dem ganzen Hochschul-Mainstream noch anderes. Seit 1985 existiert etwa das Zürcher Modell der sozialen Motivation von Norbert Bischof. Ein Modell, das einen respektablen Erklärungswert von Verhalten bietet, ohne das Bewusstsein übermäßig strapazieren zu müssen. Wenn das System nicht unter Streß steht, braucht es dieses gar nicht. Und dann gibt’s den Coping-Apparat, der Probleme unter Einbezug bewusster Prozesse löst. Das empirisch in einigen Teilsystemen bewährte Modell zeigt wichtige soziale Verhaltensweisen/Interaktionen, wenn wir eben „träumend“ durch unseren Alltag stolpern.

Hier poste ich mal eine abgespeckte Version, die diesen Coping-Apparat nicht umfasst. Um das Modell jedoch zu begreifen, sollte man Bischofs Buch „Das Rätsel Ödipus“ bis Seite 479 verstanden haben. Oder man kennt sich sonst schon sehr gut aus in Psychologie und Systemtheorie.

Was soll dieser Beitrag hier? Provozieren, anregen. Das was vor dem Leerwerden ganz nett wäre. Er soll auch einfach zeigen, dass wir nicht viel verstehen von uns selbst, weil wir uns bis jetzt nicht einmal ernsthaft zum Thema gemacht haben. Weder wissenschaftlich noch spirituell. Ausnahmen bestätigen die…

Vereinfachte Version von Felix Schönbrodt (aus Wikipedia).

Frei werden

Was ist der Sinn des Lebens? Warum bin ich hier?

Solche Fragen stellen sich unwillkürlich. Unwillkürlich. Ja, man kann sie betäuben und verdrängen mit und ohne Bier. Doch sie kommen wieder. Und wenn sie nicht mehr kommen, existierst du nicht mehr in gewissem Sinn. Das kann die Lösung sein. Man hat sich aufgelöst schon vor dem Tod. Man ist kein Ort, kein Zentrum mehr. Nur noch Attribute und Akzidentien. Doch dann ist das Bewusstsein Sklave der Attribute und Akzidentien. Du funktionierst als Spielball der Bedingungen. Die Möglichkeit des menschlichen Geistes wurde verspielt. Und der Tod nimmt nichts mehr Wesentliches.

Vielleicht suchst du aber nach einer Antwort. Und bekommst viele. Religion und Philosophie sind voll davon. Du kannst tausend Bücher lesen und kriegst Millionen Antworten.

Doch, man soll schon lesen. Sich orientieren über mögliche Antworten. Aber irgendwann ist auch genug. Dann musst du die Antwort in dir selbst finden. Du brauchst dazu nicht jahrelange, übende, stufenweise raffinierter werdende Meditationspraxis nach irgendeiner komplizierten Anleitung, die dich zunächst mal zum spirituellen Deppen stempelt. Die Antwort kriegst du vergleichsweise einfach.

Nimm dir Zeit dafür. Das ist das Geheimnis. In fünf Minuten wacht man nicht auf. Wenn du diese Zeit hast, entferne dich vom Überflüssigen, von Begriffen und Dingen, die dir anhaften, dich aber nicht ausmachen. Dann knöpfe dir deine Attribute vor. Das Wesentliche an dir. Weg damit – für eine Weile. Dein Beruf zum Beispiel. Manchmal scheinst du nur noch dein Beruf zu sein. Jetzt leg ihn ganz zur Seite. Deine Art, wie du auf bestimmte Provokationen reagierst. Immer dasselbe. Eine getriggerte Reaktion. Du kennst sie, wenn du ehrlich bist. Zur Seite damit. Deine Argumente. Zur Seite. Und so weiter. Bis du wirklich ganz nackt bist. Das ist nicht einfach. Deine Attribute schreien nach dir.

Was ist der Sinn des Lebens? Warum bin ich hier? Jetzt mutieren die Fragen: Wer bin ich? Wer ist ich? Was ist ich? Was ist? Es geht um den Ort, wo dein Bewusstsein stattfindet, dein Zentrum. Die Fragen zuvor scheinen existentiell, drehen sich aber mehr um deine Attribute und deine Peripherie (Was ist meine Aufgabe im Leben? zum Beispiel).

Wenn die Eigenschaften aus dem Weg geräumt sind, dann bist du leer. Auch das ist Wirklichkeit. Jetzt siehst du: Deine Substanz, dein Ich, das sind nur deine Attribute, dein Funktionieren in der Welt, dein Verzahnt-sein in der Welt, der Austausch mit der Welt, Gespräche und Stoffwechsel. Aber jetzt bist du leer. Reines Bewusstsein, zwecklos, ziellos, sinnfrei. Da gibt es kein reines Ich, kein verborgener Homunculus. Das war die Illusion.

Ein Gefühl der Leere sei ein Symptom einer Krankheit, die Borderline-Persönlichkeitsstörung genannt wird. Was für ein Irrtum. Das Leiden an dieser Leere kann zwar ein Symptom sein. Wenn du der Leere bewusst begegnest, können sich Angst, Leid, Deprimiertheit, Glück, Freude, ja jegliches Gefühl entladen. Was sagt das dir jetzt? Schnell zurück zu meinen Eigenschaften, Funktionen und Nebensächlichkeiten, damit ich mich wieder spüre und den Spuk vergesse? Vielleicht.

Vielleicht kommst du auch wieder an den reinen Ort, wo nichts ist, außer der Wahrnehmung des Nichts? Vielleicht verändert es dich. Vielleicht kannst du ruhiger werden. Dem verrückten Funktionieren in der Welt eine Portion Gleichmut entgegenhalten. Und anderes. Das hängt nun von deiner Freiheit ab.

Spielraum

Auf dem Lebensweg kann man

gehen und verweilen,

suchen und finden,

wähnen und spielen,

lieben und loslassen.

Im Wesentlichen.

Diese Ein-Sicht erzeugt Demut oder Bescheidenheit im Bewusstsein.

Allerdings hängt die Stimmigkeit dieser Beschränkung des Spielraums an den Definitionen dieser Möglichkeiten, wie immer wenn wir mit Worten malen. Besonders wenn ich Demut oder Bescheidenheit ablehne, rede ich eher von menschlicher Schöpferkraft. Für mich erschöpft sich diese jedoch in einer bunten Mischung aus Wahn und Spiel.