Mehr als einmal habe ich hier in den Kommentarspalten erwogen, über das Globalthema Sprache zu reflektieren. Gut heute ist es soweit. Dies ist nebenbei gesagt irgendwie auch eine Reaktion auf das aktuelle autopoietische Zerwürfnis. Wenn vier Blogger und eine Bloggerin zusammen ein Projekt lancieren und es dann scheitert, hat dies sicher auch mit der angewandten Sprache zu tun. Angewandte Sprache ist nicht nur voller Missverständnisse – aber nun wirklich rappelvoll! – und dies schon aus psychobiologischen Gründen, nein Sprache selbst ist uns ein großes Missverständnis. Wie das?
Bis gestern dachte ich, ein Beitrag über Sprache als solche müsste linguistisch fundiert sein. Ich müsste mich erst reinknien in diesen ganzen sprachwissenschaftlichen Forschungskram. Nun glaube ich – für meine bescheidnen Zwecke – dies gar nicht mehr tun zu müssen. Es reicht, selbst ein Sprachpraktiker, also ein denkender, sprechender, schreibender, zuhörender und lesender Mensch, zu sein, um sich dieses Medium vorknöpfen zu dürfen. Praxis schlägt Theorie wäre da die flotte These.
Aber warum überhaupt das Thema Sprache?
Sprache!
Hm, ich suche mal ein paar knackige Zitate aus dem Internet als Ausgangsmaterial:
Ja, hier: „Wir sind Sprache.“ So Ute Richter vom Heidelberger Zimmertheater.
Oder hier: „Die Sprache ist nicht weniger als die Welt. Sie birgt alles, wie die Welt. Der Mensch ist Sprache, wir sind Sprache.“ aus Kulturforum Wissen 2009.
Nun, ich könnte in dieser Art unzählige Zitate einbringen, aber der Zweck ist ja schon erreicht. Nur noch dies:
„Gott sprach: Es werde Licht. (…) Dann sprach Gott…“ etc. Aus dem Buche Genesis.
Und als Zugabe natürlich noch dies:
„Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott.
Im Anfang war es bei Gott.
Alles ist durch das Wort geworden, und ohne das Wort wurde nichts, was geworden ist.“ Aus dem Johannesevangelium.
Ich behaupte mal – ungeachtet dessen, was die Linguistik dazu sagt – im menschlichen Bewusstsein sind genau solche Aussagen zur Natur des Phänomens Sprache omnipräsent: Sprache ist die Welt; eigentlich ist Wirklichkeit Sprache und Sprache Wirklichkeit.
Hinter der biblischen Form der Verabsolutierung von Sprache, und darum geht es doch, steckt die Idee, dass letztlich alles Geist ist. Also göttlich. Aus diesem göttlichen Geist fließt die Sprache und diese übersetzt sich dann Kraft ihrer Magie in die Materie und all die beknackten Interaktionen der Materiehäufchen, die wir so im Alltag überall antreffen.
Das kann man ja nicht wirklich falsifizieren, diese idealistische Anschauung. Man kann nur im Geiste David Humes skeptisch daran erinnern, dass Sprache ein Attribut menschlicher Natur UND Kultur ist und dass es folglich eine anthropomorphisierende Anmaßung darstellt, dieses menschliche Zeichensystem zum Kern des Universums, ja Gottes machen zu wollen. Das wäre so mein erster Pflock, den ich im Feld Sprache einschlagen möchte.
Sprache ist, soweit wir das wissenschaftlich verstehen, von den menschlichen Vorläufern in den afrikanischen Steppen über lange Zeit hinweg entwickelt worden und zwar aus einem einfachen Zeichensystem heraus, welches primär auf Gesten, also primär Handzeichen, beruhte. Die Komplexität heutiger Sprache ist somit ein Entwicklungsprodukt menschlicher Kultur. Dank ihr wurden Interaktionen zwischen Individuen etwas einfacher. Mit der Zeit noch einfacher. Und noch einfacher. Und dann ganz einfach, was ja dann ein fürchterlicher Trugschluss ist! Die Missverständnisse heben sich nur auf ein komplexeres Niveau. Die Betrachtung komplexer Phänomene in ihrer Entwicklung haben halt so ihre Haken und Ösen.
Und es ist eine Wechselwirkung: Die Entwicklung der „Gesellschaft“ und jene der „Sprache“. Je komplexer das eine, umso komplexer das andere, bis wir unsere wunderschöne heutige Grammatik haben, die ich ja kaum richtig beherrsche und bis wir unsere wunderschöne demokratische Gesellschaftsordnung haben, die mir jedoch irgendwie monströs vorkommt. Aber vielleicht ist mein letzteres Problem nur meinen Schwierigkeiten mit der Grammatik geschuldet? Das wäre etwa die Logik derjenigen, die sagen: Die Welt ist Sprache.
Man kann jetzt sagen: Okay, die Bibel lag falsch und wir wollen mal das Universum nicht anthropomorphisieren. Aber trotzdem sind wir Sprache! Und ohne Sprache sind wir nichts. Ja, dass der moderne und postmoderne Mensch also gerne seinen Gott hinwegfegt, sich seines früheren Schöpfers entledigt, nur um endlich selbst Schöpfer zu sein, das ist spätestens seit Nietzsche trivial. Trotzdem bleibt die Allmacht der Sprache dem Menschen Dogma. Alles ist Sprache.
Warum nicht? Denken wir denn nicht permanent? Und ist Denken nicht gleich Sprache? Ohne Sprache wäre keine Kultur.
Gut. Dass kulturelle bzw. gesellschaftliche Entwicklung in ihrer Komplexität ein Subsystem Sprache benötigt, welches ihrerseits parallel und in Wechselwirkung mit dieser Kultur ihre Komplexität entwickelt, habe ich ja schon geschrieben. Hat man diesen Prozess wirklich verstanden, so begreift man wohl Sprache. Sprache wäre demnach ein kulturelles Subsystem, welches sich parallel und in Wechselwirkung mit den gesellschaftlichen Möglichkeiten des Menschen entwickelt hat. Das wäre der zweite Pflock. Und ich wähle ja diese fürchterliche Metapher bewusst, um anzudeuten, dass durchaus viele Berufene diesen Sachverhalt wesentlich filigran-eloquenter darzustellen vermögen. Sicher. Aber ich tu’s jetzt einfach mal selbst, basta.
So sind da also schon zwei Pflöcke: Zum einen die notwendige Entmythologisierung des Begriffs Sprache. Denn gerade im Christentum mit seiner mythischen Satzung des „Wortes“ als universalem Nullpunkt wurde letztlich ein Nebelmeer des Unverständnisses entfaltet. Zum andern die Abhängigkeit der Entwicklung des Systems Sprache von der Entwicklung menschlicher Gesellschaften und umgekehrt.
Den dritten Pflock hab‘ ich oben schon gezückt: Ist Denken gleich Sprache? Ja, ist man doch geneigt zu sagen. In Wirklichkeit stimmt dies eben nicht. Auch wenn menschliche Denkprozesse überwiegend, ja sogar überwältigend überwiegend mittels sprachlicher Module ablaufen. Nur kann Denken nicht absolut mit Sprache gleichgesetzt werden. Warum nicht? Man muss seine Denkprozesse erst einmal genau beobachten, um das zu verstehen. Denken bedeutet nicht automatisch streng rational, logisch zu denken, wie ein Schachcomputer. Denken interferiert immer mit Emotionen, mit Wahrnehmungen, mit einschiessenden Gedächtnisfetzen. Denken findet also statt in einem vieldimensionalen inneren „Raum“, wo Bilder, Klänge, Erinnerungen, Gefühle und Stimmungen, Berührungen, ja sogar Gerüche kognitiv verarbeitet werden. Gut, da kommt das Gegenargument: Also eine Erinnerung ist doch sprachlich im Gedächtnis abgelegt und kommt so wieder ins sprachverarbeitende Hirnareal zurück. Und so ähnlich ist es doch auch mit Bildern. Wenn ich ein Haus sehe, habe ich das Symbol Haus in den Synapsen.
Nun, ich behaupte, diese Illusion, das Ha A U Es in den Synapsen, also unser sprachliches Symbol sei dem Haus vor der Netzhaut irgendwie äquivalent, kommt daher zustande, weil man diese ersten beiden Pflöcke eben (noch) nicht im Sprachfeld eingeschlagen hat. So kommt es, dass ein primitives Zeichen, also „Haus“ im Bewusstsein einem konkreten wahrgenommenen Haus gleichgesetzt wird. Im Prinzip eine ungeheuerliche Vereinfachung. Als wollte man einen Spielfilm auf eine Schwarzweißfotografie reduzieren. Dabei weiß ich, wenn ich „Haus“ höre oder lese nicht einmal ob es ein-, zwei-, drei- oder vierzehnstöckig ist. Natürlich kann ich zusätzlich sagen das „zweistöckige Haus da“. Aber dann weiß ich immer noch nicht, ob es gelb, blau, rot oder weiß gestrichen ist. Natürlich kann ich ergänzen, das „blaue zweistöckige Haus da“. Aber Leute: Die Wahrnehmung hat das instantan, sofort! Ohne Sprache. Die Information liegt vor Augen. Sprache arbeitet hingegen einem depperten Buchstabencode entlang die Information sequenziell ab. Die Sequenzialität ist ein entscheidendes Charakteristikum von Sprache. Sprache zu entschlüsseln braucht relativ viel Zeit. Ein Bild zu betrachten auch, aber einen ersten Überblick bekomme ich schnell. Einen Text kann ich hingegen überfliegen und es entsteht keine Zusammenfassung in meinen Synapsen.
Genau deshalb besteht sprachliche Kommunikation, man müsste jetzt noch einiges über nichtsprachliche (wie Cali im Kommentar moniert, sollte es besser nonverbale heißen) Kommunikation sagen, aus lauter Missverständnissen. Weil sprachliche Information lückenhaft ist und vom Empfänger gemäß seinen inneren Zuständen ergänzt wird. Ein Haus. Ein zweistöckiges Haus. Ein blaues zweistöckiges Haus. In Wirklichkeit ist es vielleicht einfach eine Holzhütte. Man muss also hinschauen und wenn das nicht geht muss man alle falschen sprachlichen Zusatzannahmen ausschliessen wollen oder können oder wie auch immer. Und wenn es kein so einfaches Ding wie ein Haus ist? Wenn es um ein Gefühl geht, verarscht oder falsch verstanden zu werden? Wie bittschön redet man über ein Gefühl ohne Missverständnisse?
Drei Pflöcke sollen mal reichen. Vieles ist jetzt nur andiskutiert. Aber vielleicht wird klar, dass nun „Wir sind Sprache.“ oder „Sprache birgt alles.“ einfach nur tollkühne Sätze sind. Genauso, wie wir in der Sprache zuhause sind, sind wir es in Bildern, also eben nicht BE I El De E Er, sondern in Farben, Konturen, Formen. Und genauso sind wir in der Musik zuhause, die sich nicht hinreichend in Sprache übersetzen lässt. Und genauso sind wir in Gaumenfreuden zuhause, die sich nicht hinreichend in Sprache übersetzen lassen.
Aber, aber: Sprache ist unser universellster Code! Wir können über Musik reden, über Gaumenfreuden reden, über Bilder reden. Sprache ist somit ein enorm hilfreicher Code, der uns allen Missverständnissen zum Trotz erlaubt, uns gegenseitig auszutauschen. Man kann aber auch zusammen musizieren, gemeinsam einen Wein trinken, zusammen ein Bild anschauen, sich in die Augen schauen und bei Bedarf gemeinsam schweigen.